HEKLA

Für Wolfgang Neumann

                                                                                                 
Es war, als ob das Meer sich selbst verschlänge, durch die                                         
Erderschütterungen wie auf sich selbst zurückgeworfen würde.

                                                                                                                                                                           Plinius der Jüngere

 

   Das ist Malerei von Wucht, prall, oft wüst, burlesk im Ton und nicht selten von finsterer Komik. Sie mag zuweilen ihre eigenen Subtilitäten überspielen, da sind sie. Das Leise versteckt sich im Lauten. Und man kann ja beileibe nicht behaupten, dass wir in leisen Zeiten lebten. Die Krise - und die Welt sieht sich ja nach wie vor einem Erreger ausgeliefert, der wesentlich kleiner und wesentlich dümmer ist als, sagen wir einmal, eine Grünalge, nur eben auch wesentlich gefährlicher - die Krise bringt nicht unbedingt das Beste im Menschen hervor, vielfach das Lauteste, den blinden Zorn, die bodenlose Borniertheit. Und die Gegenwart zeitigt politische Phänomene, die den Anstand  bis zur Obszönität desavouierten. Zudem ja noch im großen Zusammanhang der Biosphäre die Schädigung der Umwelt ein Maß erreicht hat, das sich durch eine Umkehrung womöglich gar nicht mehr wird beheben lassen. Was werden wir für eine Erde hinterlassen. Und was werden unsere Nachkommen uns dafür an den Hals wünschen.

   Insofern, und nicht nur in diesem Sinne, sind Wolfgang Neumanns Bilder ein Spiegel ihrer Zeit, oder besser: sie halten ihr den Spiegel vor. Denn ihnen eignet sehr wohl auch die Eulenspiegelei, die ja immer ein Ausdruck von Humanismus gewesen ist, der Schalk, der Witz, auch dessen bodenlose Variante. Denke man an nur Sebastian Brandts Narrenschiff oder das Lob der Torheit des Erasmus. Wer sehen kann, dem ist es nun einmal aufgegeben, an der Vernageltheit der Welt zu leiden. Komik ist dagegen eine Waffe. Und sie ist scharf.

   Umso mehr, als ja nun diese Bilder die Gegenständlichkeit nicht verleugnen, im Gegenteil gerät doch manches kenntlich bis über die Schmerzgrenze hinaus. Sich im Ungefähren, im Unstofflichen der Abstraktion zu verhalten, hätte ja auch stets die Neigung, der Welt und ihren unangenehmen Seiten aus dem Weg zu gehen. Wer aber deutlich wird, der kommt um die Stellungnahme nicht herum, nicht um die Position, die er bezieht. Nicht um die Haltung.

   Nun würde aber die Kunst, die sich in erster Linie für die Parole in Stellung bringt, sich soweit schwächen, dass die inhaltliche Absicht vor der künstlerischen Formung käme. Dann haftet sie zeitlich am Aktuellen. Und verdämmert damit, dass über alles, was nur aktuell ist, die Zeit eben auch hinweggeht. Nichts ist kurzlebiger als der Augenblick. Nur unterlaufen dieser Gefährdung seine Bilder nicht.

   Denn da ist einmal: die schiere malerische Qualität. Selbst wo der Zugriff an die rüden Gesten eines Expressionismus denken lässt, so ist die formale Lösung der bildnerischen Probleme stets sicher, und sind auch die Flächen, die den Figuren und ihren Aktionen Umraum bieten, durchgestaltet, durchgearbeitet und nie leer in dem Sinne, das da, wo nichts ist, künstlerische Verlegenheit wäre.

   Und da ist auch: diese Malerei, die sich sehr bewusst dessen ist, was sie der Kunstgeschichte verdankt, den Rubensschen Himmelsstürzen, den aberwitzigen Szenerien eines Hieronymus Bosch und Höllen-Breughels, den anamorphotischen Verformungen, wie sie der Manierismus hervorgebracht hat: die Verzerrungen und Übersteigerungen der Gestalten, die bald Vexierspiel, bald Augentäuschung, bald doppelsinnig werden. Und darum ist nicht, was in diesen Bildern geschieht, künstlerisch ahnungslos oder naiv gegenüber seinen Ausdrucksmitteln, seinen Topoi, den Symbolen. Das aber unterscheidet seine Bilder von all denjenigen, die atemlos Anlauf nehmen, und zu kurz springen.

   Das hier buhlt nicht um Sympathie und schon gar nicht wartet es mit aesthetischem Geglättetsein auf. Ganz im Gegenteil, die Grellheit ist zuweilen durchaus anstößig, und sie will ja auch den Anstoß setzen, das funktioniert mit sachtem Schulterklopfen nicht, und ebensowenig mit braven Possierlichkeiten. Doch ist etwa bei näherer Betrachtung die Coloristik dieser Bilder ausgesprochen delikat, die Anatomie sicher, der Raum bewältigt, und nichts hingerotzt. Wild-Losgelassenes nicht nachlässige Geste, sondern Ausdrucksnotwendigkeit. Und in manchem ist es dem kolossalen Lachen der Neuen Prächtigkeit verwandt.

   Hier sind Giganten, Titanen, Chimären mit all dem wüsten Wüten der Antike in Kämpfe und Auseinandersetzungen verwickelt, manche davon archaisch, manche atavistisch, unbehaust: theatralische Tumulte, Szenen und Tableaus. Nur fehlt dem alles Pathos. Weit öfters sind die Handlungen und Tätigkeiten und Gefechte vollkommen irrwitzig. Und darin ein treffender Kommentar zur Absurdität und Endlichkeit der Existenz. Zuweilen gerät es zu gallenbitterer Farce. Saftig, fleischig, lebensprall.

Figürlich Deformierte wesen hier, mental wie körperlich. Eingewickelt in Stoffbahnen, die sich bei näherer Betrachtung als Atemmaske erweisen, suchen sie Schutz vor der Nachstellung durch Smileys, die einen alles andere als behaglichen Ausdruck zeigen. Andere Akteure schweben an solchen Masken wie an Paraglidern aus dem Firmament herab. Wieder andere surfen auf  Sperrmüll über die Ozeane. Tester rühren Zuckerwatte in den aufgelassenen Innereien ihrer Gegenüber, die Organisten tragen ebendiese, die eigenen Organe nämlich, unter den Armen spazieren, und der Hammer-Tanz erscheint als eine äußerst schmerzhafte Angelegenheit. Ab und an: heimgesuchte Kinderbettchen, verstörtes Spielzeug. Im Urwald tummeln sich Zwitter- und Totemwesen, auch die Höhlen bevölkern sie, idyllisch wirkt das nicht. Und wenn auch nicht fliegende Untertassen, so greifen doch überdimensionale Big-Macs wie eine Luftschiffarmada an. Dazwischen spuken all die Ikonen und die Unsterne unserer Gegenwart, die nachdrücklichen wie die ganz banalen. Und gemahnen das Hier und Jetzt. Und morgen.

   Doch bleiben all die Bilder der Eindeutigkeit enthoben, sie verrätseln ein Stück weit mit Symbol und Emblematik. Denn dem Betrachter bleibt sehr wohl aufgetragen, über sie nachzudenken. Ohne weiteres verkonsumieren lassen sie sich nicht. Sie verlören ja auch die Reibungsfläche damit. Man mag dann lachen über ihren heftigen Witz. Angefasst sein von der Wüstheit. Sich bewegen lassen von dem, was trotz allem darin tatsächlich schön ist.

   Man mag sich angestoßen fühlen.

 

 

13./15.IX.2021